Es wird zwar im Moment darüber nicht diskutiert, aber es gibt eine unterschwellige Angst von Männern vor der Wiederkehr des Matriarchats.
Das ist nicht zuletzt daran zu sehen, dass viele genau an dieser Frage mit dem Denken aufhören, ja sich nachgerade weigern, über etwas anderes als eine patriarchale Gesellschaftsform zu reflektieren, selbst dann noch, wenn sie bei ihrer Anpassung und Gleichstellung an deren Grenzen gestoßen sind.
Daher muss beim Thema Gewalt und Geschlecht nicht nur beschrieben werden, was historisch der Fall war oder ist, sondern es muss auch erklärt werden, warum und wofür Herrschaft, das „Patriarchat„, überhaupt entstanden ist, und wie sie deshalb aussieht.
Der Zusammenhang von Gewalt und Geschlecht ist jedenfalls immer an eine Herrschaftsform gebunden, weil Herrschaft als eine solche von Männern über Frauen entstanden ist und weiter be- und entsteht.
Gewalt ist historisch Männergewalt, und Herrschaft ist historisch Männerherrschaft, und sie ist es zu 90% immer noch.
Herrschaft und Gewalt sind männliche Erfindungen, aber nicht von Natur, sondern von Kultur aus: Sie sind Erfindungen von Männern im Patriarchat. Von Männern im Matriarchat wird nichts dergleichen berichtet, im Gegenteil, gerade ihnen scheint nichts ferner zu liegen als ein Herrschaftsgedanke, geschweige denn eine entsprechende Praxis.
Und auch hier ist dies nicht einer anderen „Natur“ der Männer im Matriarchat zu danken, sondern der matriarchalen Kultur.
Die matriarchale Kultur ist geradezu darauf aus, Macht- und Herrschaftsansprüche einzelner oder von Gruppen systematisch unmöglich zu machen, zu unterlaufen und gesellschaftlich um jeden Preis zu verhindern.
In matriarchalen Gesellschaften gelten Herrschaftsansprüche als unsozial und die Gemeinschaft gefährdend, als überflüssig und lächerlich, als dumm und kontraproduktiv für das Leben in Gemeinschaft.
Es ist daher kein Zufall, dass, obwohl Frauen-Herrschaft nirgendwo in der Geschichte entdeckt worden ist, die Diskussion um die matriarchalen Gesellschaften immer verwirrend ist, solange unter Matriarchat Frauenherrschaft verstanden wird, so wie unter Patriarchat lediglich Männer- oder Väterherrschaft.
Wegen der Projektion männlicher Verhaltensmuster auf Frauen ist daher der Begriff des Matriarchats oft belastet oder wird als unhistorisch abgelehnt. Damit fällt dann aber auch gleich die Denk-Möglichkeit einer nicht herrschaftlichen (früheren oder zukünftigen) Gesellschaftsorganisation ganz weg, weil dafür dann kein Begriff mehr zur Verfügung steht.
Oder aber es wird, wie in der Diskussion des 19. Jahrhunderts, das Matriarchat als evolutionäre Vorstufe eines sich notwendig daraus entwickelnden Patriarchats als der „höheren“ Gesellschaftsstufe gesehen (vgl. den Begründer der Matriarchatsforschung Bachofen), so dass es wiederum nicht als Alternative zum Patriarchat verstanden wird.
Und schließlich gibt es neuerdings noch den Beitrag der „Gender“-Forschung dazu. In ihr wird jede Erinnerung an matriarchale Gesellschaften, ja sogar die Tatsache, dass wir alle von Müttern stammen und deswegen die Mütterfrage die Grundfrage jeder Gesellschaft ist, nicht nur negiert, sondern jeder Versuch in diese Richtung als „konservativ“, „rückständig“ oder gar „reaktionär“, ja „faschistoid“ diffamiert – weil sich der Nationalsozialismus, allerdings auf seine Weise, auch mit der Mütterfrage beschäftigt hat.
Für diese neueste Variante der Diskussion stellt sich die Frage nach einer angeblichen Mütter-Herrschaft bzw. ein „Matriarchat“ einfach deswegen nicht (mehr), weil die neuen Reproduktionstechnologien versprechen, dass in Zukunft das Leben sowieso ohne Mütter geboren werden wird – angeblich soll das bereits der Fall sein (von Braun 2000) – in endlicher Realisation des altpatriarchalen Traums: „Es gibt auch ohne Mutter Vaterschaft“.
Das Rätsel um Matriarchat und Patriarchat beginnt sich zu lösen, wenn man sich mit der Etymologie beschäftigt. Das Wörtchen arché (Patriarchat, Matriarchat, Hierarchie, Anarchie, Architektur, archaisch…) bedeutet zunächst keineswegs Herrschaft, sondern Anfang, Beginn, Ursprung, Uterus.
Demnach hieße Matriarchat ganz einfach: „am Anfang die Mütter“, oder die Mütter als Anfang, was zunächst nichts anderes bedeutet, als dass alles neue Leben von Müttern kommt und diese sich um diese Tatsache herum organisiert haben.
Matriarchate sind Gesellschaften, in denen sich Frauen und Mütter zusammentun, um die Existenz neuen Lebens zu sichern, dieses Leben zu pflegen, sich daran zu freuen und es in den Mittelpunkt der Gemeinschaft zu stellen. Alle Beschreibungen matriarchaler Gesellschaften entsprechen diesem Bild.
Patriarchat hieße dann aber nicht mehr Väterherrschaft, sondern: am Anfang die Väter, oder Väter als Anfang des Lebens. Dies wiederum wäre schwer zu verstehen. An welchem Anfang stehen „Väter“? Sie stehen jedenfalls nicht am Anfang des ins Leben tretenden Lebens.
Deshalb gibt es in matriarchalen Gesellschaften auch keinen Begriff für „Vater“.
Männer im Matriarchat sind Brüder, Onkel, Söhne, Geliebte, „Heros“ und Ehemänner.
In dem Moment, als überhaupt von „Vätern“ die Rede ist, stehen sie am Anfang von Herrschaft. Deswegen wird Patriarchat meist mit Herrschaft der Väter übersetzt. Die Sache ist damit aber noch keineswegs erledigt.
Denn was bedeutet hier „Väter“? Und was bedeutet ihre „Herrschaft“?
Worüber, von wem, wie und warum wird geherrscht?
Der „herrschende Vater“, der Patriarch, setzt sich an den Anfang der Herrschaft wie den des Ursprungs, als angeblicher Schöpfer des Lebens ist er der „Herr“, von dem alles herkommt und abstammt: der Stamm „Vater“.
Von nun an gibt er den Namen weiter, ist sein Ort der, wohin die Frauen gehen, ist er der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Gemeinschaft.
Es fällt auf, dass im Patriarchat alles umgekehrt wird, was im Matriarchat galt: Statt Mutter steht nun Vater.
Das bedeutet aber auch eine Usurpation der Mutter, ihrer Verehrung, ihres „guten Rufs“ und der langen historischen Erfahrungen, die man mit ihr hat.
Die Mutter wird angeeignet für die Zwecke des Patriarchats und damit in ihrer Bedeutung negiert und pervertiert. Denn es wäre ja nichts dagegen einzuwenden, wenn Männer ihre Verantwortung für das Leben wahrnehmen würden, um es den Müttern gleichzutun. Aber dann hätten sie keine patriarchale Gesellschaft gebraucht, denn genau das taten sie ja im Matriarchat.
Der Begriff des Patriarchats im Sinne von „am Anfang die Väter“ bzw. Vater als Anfang des Lebens zeigt uns dagegen, dass es hier um etwas völlig anderes geht. Wenn die Väter sich als Ursprung setzen, dann nicht auch, zusammen mit den Müttern, sondern gegen sie, an ihrer statt.
Das Patriarchat ist also auch von seinem Begriff her eine Kampfansage an die Frauen und ihre „mütterliche“ matriarchale Gesellschaftsordnung, an die Natur und das Leben, insofern es in Müttern und nicht in Vätern entsteht.
Es ist aber auch eine Kampfansage an die bisherige Wahrnehmung, an die Sinne, das Denken und Fühlen, das nun konfrontiert wird mit einer Lüge, die sich als ordnungsmächtiges Programm, Projekt und utopische Zielvorstellung der neuen Gesellschaft verkleidet.
Patriarchate müssen der Zyklizität und Eigenständigkeit der Welt eine evolutionäre Theorie und starre Entwicklungsrichtung vorgeben, die darin gipfeln soll, dass in einer utopischen Zukunft, in einer „höheren“ Gesellschaftsformation alle Abhängigkeiten vom irdischen Leben, der Natur und den Frauen, der Materie und den Sinnen überwunden wären.
Das Patriarchat will also die matriarchale Gesellschaft, den bisherigen Normalfall, nicht akzeptieren, sondern sich unterwerfen und letztlich zerstören. Es will von ihr in jeder Hinsicht unabhängig werden und sie ersetzen durch eine angeblich mögliche bessere, zivilisiertere, höhere und kultiviertere, ja der angeblichen Evolution der Natur angemessenere Gesellschaftsform.
Es sei der Ursprung des Lebens eigentlich der Gattung der Männer zu verdanken, insbesondere den „Vätern“, Herrschern bzw. Institutionen, die angeblich neues Leben schaffen können, die Schöpfer, die nun an die Stelle der Schöpferinnen, die Götter, die plötzlich an Stelle der Göttinnen treten und die Schöpfungspotenz, die Lebensmacht, nun als Macht über, und das heißt gegen das Leben für sich beanspruchen.

Erst diese völlig neu verstandene Macht, die „politische“ Macht, erringen und erhalten zu wollen, bedeutet Herrschaft.
Wie unmittelbar sich die ersten Patriarchen als Lebensschöpfer verstanden, wird z.B. deutlich am Pharao Echnaton, der sich nicht nur als Gründer des ersten Monotheismus, der Aton-Religion hervortat, sondern auch als schwangeren Mann darstellen ließ (vgl. Wolf 1994 und Abb. links).
Auch heute wird mit der Schwangerschaft von Männern experimentiert, und die Brechung des weiblichen Gebär-„Monopols“, auch ein alter Wunschtraum der Griechen von der mutterlosen Gesellschaft (vgl. Treusch-Dieter 1990), soll heute gar – mittels Technik – einlösbar sein.
So sehr sich patriarchale Gesellschaften von ihren matriarchalen Vorgängern auch unterscheiden, ihre Legitimation, die sie auf Dauer benötigen, können sie immer nur aus dem Ansehen, dem Respekt und der Kraft, die in der alten Gesellschaft den Frauen zugeschrieben, bzw. durch sie erfahren wurde, schöpfen und sich selbst zuzuschreiben versuchen. Denn eine davon unabhängige Legitimation gibt es nicht.
Deswegen rechtfertigen sich Patriarchate damit, die „besseren Matriarchate“ zu sein, die Herrscher führen sich auf als die „besseren Mütter“. Da es dafür aber keine materielle Grundlage gibt, und es sich um eine leicht durchschaubare Täuschung handelt, sind Patriarchat und Herrschaft in den Augen der Unterworfenen immer tendenziell überflüssig, prekär, widerlegbar und irgendwie lächerlich.
Gerade deswegen rüsten sich Patriarchate mit Pomp, Geheimnissen, Militär, Drohgebärden, Gesetzen und Gewaltkulten aus, die alle gemeinsam haben, dass sie gebraucht werden, um einer angeblich bestehenden Gefährdung von „Freiheit“ und ständig beschworener „Not“ wirksam zu begegnen und damit die patriarchale Gesellschaftsordnung vor irgendeinem „Untergang“ zu retten.
Die Ausnützung des Vertrauens, das seit undenklichen Zeiten vor allem den Müttern entgegengebracht wurde, nimmt in Patriarchaten auch die Form der Verwendung von Frauengestalten an, z.B. als Göttinnen oder als Allegorien (z.B. Justitia), um dem „Volk“ gegenüber glaubwürdig zu erscheinen.
Der Gipfel der Verdrehung liegt aber in allen Patriarchaten nicht nur in der Behauptung, nur das Männliche sei schöpferisch (vgl. die vielen patriarchalen Samentheorien), während das Weibliche lediglich eine Art Behälter für die Schöpfung sei (vgl. Treusch-Dieter 1990). Sondern in patriarchalen Gesellschaften wird nicht ohne „Logik“ behauptet, die Gewalt selbst sei schöpferisch.
Vom patriarchal selbstschöpferischen „Ich töte, also bin ich“, über die Zeugung durch Vergewaltigung, die angeblich die „stärkere Rasse“ hervorbringt, die Todesnähe bzw. Beinahe-Tötung im sexuellen Rausch.
Die angebliche „Erotik“ des Zusammenhangs von Sexualität und Gewalt, über den Mythos vom „Krieg als Vater aller Dinge“ und die grausame Jungmänner-Initiation der „zweiten Geburt“ (Völger/von Welck 1990), die „Eroberung“ einer Frau bis zur kapitalistischen Ökonomie als „schöpferischer Zerstörung“ (vgl. Josef Schumpeter) und den „Gen-Ingenieur“, dem – übersetzt – „Gebär-Kriegskünstler“, ist dieser Gewaltzusammenhang bis heute und gerade heute überall anzutreffen.
Und das nicht nur als Theorie, sondern gerade auch als Praxis (z.B. in den Gen- und Reproduktionstechnologien).
Am prominentesten ist jedoch immer noch der eine Schöpfergott, der sich an die Stelle, bzw. über die schöpferische Weltmuttergöttin (Nut, Neit, Inanna, Ma‘ at, Thiamat, Lilith) gesetzt hat, nachdem er sie ermordet (Ödipus die Sphinx, Marduk die Thiamat), verneint oder zur Tochter und bloßen Empfängerin seiner übernatürlichen, angeblich stoffunabhängigen „geistigen“ Schöpfungskraft herabgesetzt hat.
Die „Göttinnen“ in Griechenland, Maria, und alle normalen Frauen auch.